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Neue Wege digital und analog!
Den Wandel im ländlichen Raum aktiv gestalten

Internationale Infrastrukturtagung und 41. Bundestagung
vom 13. bis 15. Oktober 2021 in Wiesbaden, Hessen

von Univ.-Prof. Dr.-Ing. Karl-Heinz Thiemann, Vorsitzender der DLKG

Die Internationale Infrastrukturtagung – ehemals Drei-Länder-Wegebautagung – geht auf eine lange Tradition zurück. Seit 1963 tauschen sich die Länder Deutschland, Österreich und Schweiz in nunmehr dreijährigem Abstand regelmäßig zu Fragen der ländlichen Infrastrukturen aus. Ferner ist 2021, wie 2011 in Mainz, zum zweiten Mal auch Luxemburg beteiligt. Zu Recht kann daher zumindest für den deutschsprachigen Raum von einem internationalen Informations- und Erfahrungsaustausch gesprochen werden, der gleichzeitig die 41. Bundestagung der Deutschen Landeskulturgesellschaft (DLKG) 2021 darstellt.

Abgerundet wurde das Vortragsprogramm am dritten Tag durch drei gut besuchte Exkursionen zur Weinbergsneuordnung im Rheingau, zu Unternehmensflurbereinigungen im Ried mit seinen vielfältigen Flächennutzungsansprüchen sowie zu integralen Flurbereinigungs- und Infrastrukturmaßnahmen in Wein-, Obst- und Gemüseanbaugebieten der Region Rheinhessen/Pfalz. Ländliche Infrastrukturen sind heute bei Weitem nicht nur ländliche Straßen und Wege. Im Zuge der Digitalisierung gehört eine leistungsfähige Breitbandversorgung ebenso zur notwendigen Grundausstattung der ländlichen Räume, um gleichwertige Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen sicherzustellen. Die digitale Transformation ist jedoch weit mehr als nur Breitband- und Mobilfunkausbau. Sie umfasst insbesondere vielfältige Anwendung in verschiedensten Bereichen, wie Home-Office, Co-Working, Online-Handel und mobile Dienstleistungen, um nur einige typische Beispiele zu nennen. Entsprechend breit ist das Einsatzfeld für digitale Lösungen in der ländlichen Entwicklung. Es reicht von reinen Informationsangeboten über die Organisation von Mobilität und sozialen Diensten bis hin zu neuen Formen der Beteiligung und Partizipation. Letztere können insbesondere die soziale Dorfentwicklung und den Aufbau Sorgender Gemeinschaften wirkungsvoll unterstützen.

Gemäß diesem breiten Verständnis von ländlicher Infrastruktur war die Internationale Infrastrukturtagung 2021 und 41. Bundestagung der DLKG zweiteilig aufgebaut, wie das Motto „Neue Wege digital und analog! – Den Wandel im ländlichen Raum aktiv gestalten“ verdeutlicht.

Der erste Tag (13. Oktober 2021) stand ganz im Zeichen der digitalen Transformation und ihren vielfältigen Chancen für die ländliche Entwicklung. Dabei wurde die Digitalisierung von grundsätzlichen Überlegungen bis hin zu konkreten Anwendungen erörtert und intensiv diskutiert.

Es ist allgemein bekannt, dass für viele digitale Anwendungen eine Ortschaft – sprich ein Dorf – oder eine Gemeinde zu klein und ein größerer Kontext zwingend notwendig ist. Dies erfordert zwangsläufig eine interkommunale Zusammenarbeit und führt zur Digitalisierung als Thema der Integrierten Ländlichen Entwicklung. Die volle Ausschöpfung des Potenzials setzt aber auch den Abbau von Berührungsängsten bei den Anwendern, vor allem bei der älteren Bevölkerung, voraus sowie die Stärkung von Digitalkompetenzen und die Aktivierung der Kommunen. Denn schätzungsweise über die Hälfte der ländlichen Gemeinden in Deutschland hat noch keine digitale Strategie bzw. über die eigene Homepage hinausgehende konkrete Anwendungen. Modell- und Demonstrationsvorhaben kommen daher eine besondere Bedeutung zu, um digitale Anwendungen weiter auszubauen und in die Praxis zu bringen.

Im Einführungs- und Impulsvortrag beleuchtete Frau Prof. Dr. Diane Ahrens, Leiterin des Technologie Campus für Digitalisierung und KI der Technischen Hochschule Deggendorf, die Digitalisierung als Thema der Integrierten Ländlichen Entwicklung mit ihren mannigfaltigen Einsatzmöglichkeiten, gerade auch im gemeindlichen und interkommunalen Bereich. Hieran anschließend beschrieb Herr MinDir Dr. Klaus Heider, Abteilungsleiter „Ländliche Entwicklung und Digitalisierung“ im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) insbesondere die Strategien des Bundes, und Frau Dr. Ursula Monnerjahn, Referatsleiterin „Digitalisierung im ländlichen Raum“ des BMEL, fasste die bisherigen Erfahrungen mit dem Bundesprogramm „Land.Digital“ anschaulich zusammen. Den Bogen zu den Ländern schlug Herr Thomas Reimann, Vorsitzender des Arbeitskreises „Grundsatzangelegenheiten“ der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft Nachhaltige Landentwicklung (Arge Landentwicklung), indem er vor allem die Aspekte der breiten praktischen Umsetzung in den Blick nahm.

In der anschließenden Podiums- und Plenumsdiskussion mit allen Referenten unter Beteiligung von Herrn Ekkehard Horrmann, Präsident des Bundesverbandes für Teilnehmergemeinschaften (BTG), und Herrn Bürgermeister a.D. Uwe Steuber vom Hessischen Städte- und Gemeindebund zeigte sich nochmals sehr deutlich, dass die digitale Transformation zur Integrierten Ländlichen Entwicklung gehört und sich im regionalen Kontext effizient für die soziale Dorfentwicklung und nachhaltige Strukturförderung nutzen lässt.

Am zweiten Tag (14. Oktober 2021) ging es vornehmlich um die sog. graue Infrastruktur, also Straßen und Wege als Lebensadern der ländlichen Räume. Die Beiträge griffen aktuelle Aspekte der Landentwicklung im internationalen Kontext auf, wozu insbesondere digitale Erfassungs-, Analyse- und Planungsinstrumente gehören, aber auch Neuerungen im ländlichen Wegebau sowie die Planung und Umsetzung von sog. Kernwegenetzen bzw. Verbindungswegenetzen als Antwort auf den fast flächendeckenden Erneuerungsbedarf.

Am Beispiel der schweizerischen Regionalen Landwirtschaftlichen Strategien (RLS) verdeutlichte Herr Dr. Daniel Baumgartner vom Bundesamt für Landwirtschaft, Bern, wie umweltgerechte Landwirtschaft und nachhaltige Strukturförderung wirkungsvoll miteinander verbunden werden können. Dies setzt natürlich eine eingehende Analyse der vorhandenen Situation voraus, um abgestimmt auf die örtlichen Verhältnisse mit allen Akteuren nachhaltige Lösungen zu erarbeiten und umzusetzen. Für den Erhalt und die Ertüchtigung des ländlichen Wegenetzes gibt es in Österreich bereits digitale Straßenkataster. Da ein solches Erfassungs-, Analyse- und Planungsinstrument in anderen Ländern nur für klassifizierte Straßen existiert, fand der Vortrag von Herrn Wolfgang Burtscher vom Amt der Vorarlberger Landesregierung ein großes Interesse. Gleiches gilt für die Erläuterungen von Herrn WHR Dr. Wolfgang Haslehner, Amt der Burgenländischen Landesregierung, zu Neuerungen und Einsatzmöglichkeiten von Spurwegen in Österreich. Äußerst interessant sind diesbezüglich auch erste Überlegungen und Versuche zum Einsatz von Spurwegen im besiedelten Bereich, um Grün in den öffentlichen Verkehrsraum zu bringen. Den Abschluss dieses Blicks in die benachbarten Länder bildete das Referat von Herrn Alain Besch vom Nationalen Amt für Flurneuordnung zur Weinbergsflurbereinigung in Luxemburg mit den Schwerpunkten Erschließung, Entwässerung und Hangsicherung.

Die anschließenden Vorträge behandelten derzeit viel diskutierte Fragen der ländlichen Entwicklung in Deutschland. Herr Andreas Wizesarsky, Leiter des Arbeitskreises „Technik und Automation“ der Arge Landentwicklung, widmete sich der digitalen Transformation in ihrer Bedeutung für die Optimierung von Verwaltungs- und Planungsprozessen – ein Thema, das gerade im Hinblick auf die laufende Einführung des Landentwicklungsfachinformationssystems (kurz LEFIS) von besonderer Bedeutung ist. Herr Thomas Knöll, Leiter des Amtes für Bodenmanagement Heppenheim, stellte am Beispiel der Unternehmensflurbereinigung Pfungstadt die vielfältigen Möglichkeiten der ländlichen Bodenordnung zur Lösung von Landnutzungskonflikten im ländlichen Bereich einer Metropolregion dar. Mit Spannung erwartet wurden die Ausführungen von Herrn Torsten Heep, Leiter des Fachausschusses „Ländliche Wege“ der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA), zu Teil 2 der neuen Richtlinien für den ländlichen Wegebau (RWL). Er gab kompetent Auskunft, welche Neuerungen insbesondere in Bezug auf die Ausbaustandards zu erwarten sind. Die Vorgaben sind neben den in der RLW, Teil 1 „Richtlinien für die Anlage und Dimensionierung Ländlicher Wege“ geregelten Wegebreiten wichtige Planungskriterien für die Grundinstandsetzung vorhandener Wege. Ein erster Entwurf, der sog. Gelbdruck, der RLW, Teil 2 „Entwurf und Bauausführung“ wird aller Voraussicht nach im Herbst 2022 veröffentlicht und in die weitere Abstimmung gehen.

In Deutschland bedarf das ländliche Wegenetz einer fast flächendeckenden Ertüchtigung, um sowohl den heutigen Anforderungen einer multifunktionalen Nutzung als auch den gewandelten landwirtschaftlichen Transportbeziehungen gerecht zu werden. Hierzu wurden in fast allen Bundesländern in unterschiedlicher Ausprägung die Konzepte der Kernwegenetze bzw. Verbindungswegenetze entwickelt. Grundlegender Ansatz ist ein gemarkungsübergreifend abgestimmter, schrittweiser Ausbau der Hauptwirtschaftswege unter Einbeziehung der klassifizierten Straßen auch für den landwirtschaftlichen Verkehr. Diese Netze mit einer Weite von 1 bis 2 km bilden dann das Grundgerüst zur Erschließung der einzelnen Grundstücke durch nachgeordnete Wirtschaftswege.

Da Bayern in der Umsetzung derzeit führend ist, lag es nahe, die Realisierung am bayerischen Vorgehen zu verdeutlichen. Hierzu erläuterte Herr Roland Spiller vom Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten die „Initiative Ländliche Kernwegenetze in Bayern“. Darauf aufbauend stellte Frau Marija Knezevic, Lehrstuhl für Geoinformatik der Technischen Universität München, das dort entwickelte digitale Analyseinstrument zu landwirtschaftlichen Transportbeziehungen vor, welches inzwischen bundesweit Beachtung findet und neben Bayern auch bereits in Hessen in der Anwendung ist. Abschließend beleuchtete Herr Michael Diestel vom Bayerischen Bauernverband, Kreisverband Rhön-Grabfeld, Aspekte der Planung und Umsetzung aus kommunaler Sicht in einer kurzweiligen und durchaus kritischen Betrachtung.

Als Fazit ist festzuhalten, dass die Tagung ihrem Motto „Neue Wege digital und analog! – Den Wandel im ländlichen Raum aktiv gestalten“ voll und ganz gerecht wurde, indem aktuelle Herausforderungen und Lösungsmöglichkeiten der ländlichen Entwicklung und digitalen Transformation aufgezeigt und diskutiert wurden. Der internationale Austausch brachte für alle Teilnehmer wertvolle Impulse und Anregungen für die ländliche Entwicklung und Strukturförderung in ihrem Heimatland.


13. Oktober 2021:
14. Oktober 2021: